Wie ich einmal mit meinem Sohn zu Iron Maiden ging und mir selbst begegnete
Vor ein paar Tagen war ich mit meinem Sohn bei Iron Maiden. Keiner wollte mit. Kein Freund, nicht mal meine Frau, mit der ich sonst auf laute Konzerte gehe. Stattdessen: skeptische Blicke. Als hätte ich einen Betriebsausflug zu einem mittelalterlichen Schwertkampfturnier vorgeschlagen. Ich hörte es nicht direkt, aber ich spürte es: „Ist das noch was für dich?“ Oder schlimmer: „War das je etwas für dich? Echt jetzt?“
Und ja, echt jetzt. Ich wollte dahin. Mit meinem Sohn. Weil es etwas in mir gibt, das da hingehört. Und weil ich jemanden dabeihaben wollte, der davon noch nichts wusste.

Ich war fünfzehn, als ich Iron Maiden zum ersten Mal hörte. 1997, ein Sommer in Sussex, Sprachreise, Lagerfeuer, billige Walkmen. Ein Mitschüler (ich weiß seinen Namen nicht mehr) hatte Fear of the Dark als Musikkassette dabei. Schon das Cover war überzogen. Ein knochiger Dämon aus einem Baum, mit leuchtenden Augen. Aber dann: diese Musik. Diese gebauten Songs. Afraid to Shoot Strangers, mit dieser beinahe pastoralen Einleitung, bevor das Lied langsam eine Spannung aufbaute, die fast wehtut. Childhood’s End, mit einer Doublebass, die mich an irische Stepptänzer denken lässt: kompromisslos, martialisch, aber irgendwie… organisch. Und natürlich der Titelsong Fear of the Dark, den wir nachts hörten, im Zelt, in einer Welt zwischen Schlafsack und Pubertät.
Diese Songs waren anders als alles, was ich bis dahin gehört hatte. Sie wirkten wie Erzählungen, nicht wie Tracks. Architektur, keine Playlist. Und sie waren in dieser Umgebung, in einem fremden Land, bei fremden Menschen plötzlich meines. Vielleicht gerade, weil sie so gar nicht passten. Weil sie größer waren als mein kleiner Alltag zwischen Klavierunterricht und der Angst vor dem Sitzenbleiben.
Zurück in Deutschland wurde es schwieriger. Ich kam auf´s internat und fand eine neue Peer Group, die ich liebte – die mich prägte bis heute und für die ich alles getan hätte. Und auch diese Peer Group war laut, ja, aber auf andere Weise. Punk, Sepultura, Grunge, Schweißer, die Neue Deutsche Härte: alles klang nach Zorn, nach Haltung, nach dem Willen zur Deutungshoheit. Iron Maiden dagegen war opulent, verspielt, unironisch. Ein bisschen zu viel Theater, zu wenig Gegenwart.
Trotzdem. Ich hörte Maiden weiter, nahm sie auf Mixtapes, platzierte sie zwischen Nirvana und Atari Teenage Riot. Von meinen Freunden manchmal schief angeschaut, meistens ignoriert. Maiden war nicht cool! Nicht im Sinne der späten Neunziger, in denen man lernte, dass Ironie und Distanz das neue Pathos waren. Iron Maiden hingegen stand da wie eine gotische Kathedrale in einem Vorstadtpark: Zu groß, zu feierlich, irgendwie peinlich.
Aber ich liebte sie. Weil sie diese seltsame Mischung bot: Große Themen, aber keine Belehrung. Gewalt, Krieg, Geschichte! Nicht glorifiziert, sondern durchlebt. Paschendale ist ein Antikriegslied, ohne dass man es merkt. Afraid to Shoot Strangers ein moralisches Dilemma in Musikform. Alexander the Great eine Geschichtsstunde in sieben Minuten. Triumphal und tragisch zugleich.
Und doch: Auch unter Maiden-Fans war ich nie wirklich zu Hause. Viele waren älter, viele kamen aus anderen Milieus. Jeanswesten, Tattoos, White Working Class. Fliesenleger, LKW-Fahrer, Müllmänner, Gabelstaplerfahrer. Menschen mit anderen Codes. Man merkt, wenn man dazugehört. Und wann nicht. Ich stand mit meinen akademischen Eltern, meinen Freunden aus Berlin, München und dem Internat, das andere als elitär empfanden, am Rand dieser Szene. Dazwischen, nicht drinnen. Und trotzdem dabei.
Denn wenn ich die Songs höre, höre ich nicht mein Milieu, nicht meine Generation, sondern etwas in mir. Nicht das, was ich sein sollte. Sondern das, was ich irgendwo nur für mich war.
Und jetzt dieses Konzert in der Waldbühne. 50 Jahre Iron Maiden. Eine Bühne, die einst als „Dietrich-Eckart-Bühne“ für Thingspiele der NS-Zeit erbaut wurde. Heute brodelt sie unter einem Feuerwerk aus Licht, Sound und einem Song wie Fear of the Dark, das in dieser Kulisse fast sakral wirkt.
Ich stehe neben meinem Sohn, der alles mitmacht. Mit offenen Augen, mit lauter Stimme. Er trägt ein Shirt, ich trage ein Shirt. Wir sind Fans. Aber wir sind es auf unsere Weise. Keine Uniform. Kein Kanon. Nur eine gemeinsame Erfahrung.
Ich denke an all die Male, in denen ich diese Lieder gehört habe. In Zügen, auf langen Fahrten, spät nachts im Kopfhörer. Nie, weil sie angesagt waren. Nie, weil andere sie hören wollten. Sondern weil sie in mir etwas berührten: ein Zittern, ein Bild, ein Satz. Eine Form von eigener Wahrhaftigkeit.
Ich hätte mir früher gewünscht, dass mehr Menschen mich dabei verstanden hätten. Aber vielleicht war das nie der Punkt. Vielleicht geht es nicht darum, verstanden zu werden. Sondern darum, etwas zu verstehen, über sich selbst. Und zu akzeptieren, dass nicht alles aufgehen muss.
Denn MAiden passt ja nie. Nicht zur Peer Group, nicht zur Szene, nicht zur popkulturellen Landkarte meiner Generation. Und vielleicht genau deshalb war die Band für mich wertvoll. Ein Ort, an dem ich sein konnte, irgendwie ohne Erlaubnis. Ohne Passierschein. Es passte nicht und ich achte mirr: „Umso besser“. Weil dann etwas entsteht, das nicht von außen bestimmt wird.
Und jetzt: Licht. Krach. Waldbühne. Maiden. Das Kind steht auf, lässt sich mitreißen von der Melodie. Ich auch. Ein fragmentarisches Glück, nicht erklärbar. Aber für uns aufrichtig.
Und das reicht.